Juli 2016
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Liebe Scholé-Freunde,
Anfang Juli bin ich mit meinem Mann zum fünften Mal in das Dorf Vassilikos auf der griechischen Insel Zakynthos gefahren, wo eine ganz andere Atmosphäre herrscht als in den benachbarten Ortschaften, die vom Massentourismus gezeichnet sind: Shops und Vergnügunsprogramme aller Art, laut dröhnende Musik, gemietete Motorräder und Funmobile, die rücksichtslos auf den engen, kurvigen Straßen dahin düsen, ganze Schiffe, voll besetzt mit alkoholisierten Jugendlichen, die sich von brüllenden Animatoren über Lautsprecher willenlos manipulieren lassen… Urlaubs-SPASS in Reinkultur!
Am Strand von Vassilikos dagegen sehen wir stille, zufriedene Menschen mit großen schwarzen Mappen am Meeresufer entlang schlendern. Kinder spielen ohne Animatoren und ohne aufwendiges Spielzeug miteinander im Sand oder in den Wellen. Auf den Liegen unter den ausgefransten Schirmen aus Palmblättern werden dicke Bücher gelesen. In dem kleinen Lokal direkt darüber gibt es nur wenige Getränke, eine Eiskiste und 3 von der alten Mama gekochte Tagesgerichte, dafür hat man aber den schönsten Blick auf das endlose Farbenspiel von Meer und Himmel. Und an einem der Nebentische klimpert einer der Stammgäste, ein griechischer Liedermacher, leise und versonnen neue Melodien auf seiner Gitarre, während drei Hunde und mehrere Hühner um seine und unsere Beine streichen…
Das Geheimnis von Vassilikos ist sehr einfach: Die Menschen, die hierher kommen, sind mit sich und der Welt zufrieden, weil sie schöpferisch tätig sind! Sie malen, singen, tanzen, dichten, trommeln, machen Sport und Yoga, erforschen die Gegend oder spielen Theater. Die meisten von ihnen sind oder waren Teilnehmer der Sommerakademie, die ein österreichischer Anwalt vor mehr als einem Vierteljahrhundert gegründet hat, um einigen Künstlern, die in dem verschlafenen Küstendorf den Sommer verbrachten, zu einer bezahlten Beschäftigung zu verhelfen. Zwischen Mai und Oktober kommen seither Woche für Woche Erwachsene und Kinder, um begleitet von Künstlern/Kunsttherapeuten in entspannter Atmosphäre ohne Druck oder Zwang ihre schlummernden Talente zu entfalten. Ihre Begeisterung lässt eine Atmosphäre echter FREUDE entstehen, die auch von den griechischen Gastgebern geschätzt und gewürdigt wird.
Ich habe auf dieser Insel viel gelernt, vor allem den himmelweiten Unterschied zwischen SPASS und FREUDE. Diese beiden Begriffe werden irreführender Weise oft wie Synonyme verwendet, doch bei näherer Betrachtung erweisen sie sich als absolut unvereinbar. Die Nachbardörfer auf der Insel Zakynthos sind ein anschauliches Beispiel dafür: Wer sich für den Urlaubs-Spass entscheidet, entscheidet sich damit automatisch gegen die Urlaubs-Freude und umgekehrt – passives Bespasstwerden von außen und aktives Erkunden der eigenen innersten Bedürfnisse schließen einander aus…
Wieder und wieder bekomme ich in Diskussionen mit Kritikern des Freilernens das Argument an den Kopf geworfen, dass aus Kindern, die immer nur tun, was ihnen Spass macht, doch nichts werden kann! Diese Kritiker reagieren einigermaßen verblüfft, wenn ich ihnen aus ganzem Herzen zustimme ;-)) Und manche hören mir sogar weiter zu, wenn ich erkläre, wieso:
weil Kinder schon JEMAND SIND und nicht ETWAS (!?) WERDEN müssen. Und
weil SPASS mit freiem Lernen gar nichts zu tun hat! Spass dient nur als Ausgleichsventil für Kinder, die ständig unter Druck gesetzt werden – lautstark muss sich dann natürlich in Schulpausen oder Ferien ihre unerträgliche Anspannung entladen. Gleiches gilt für den Urlaub im „normalen“ Arbeitsleben…
Freilerner dagegen sollen FREUDE erfahren dürfen, und die Freude ist ein Kind der Muße – sie lässt sich nicht organisieren, nicht kaufen, nicht erzwingen und nicht gesetzlich verordnen. Echte Freude ist eine sehr ernste Sache und bedarf zudem einer besonderen Atmosphäre der Freiheit und Geborgenheit, um sich entfalten zu können: Ernst und Freude, Freiheit und Geborgenheit – gleich zwei Widersprüche, zwei Paradoxa in einem Satz! Da steigt der reine Rationalist natürlich aus, denn sein ängstlicher Verstand teilt die Welt fein säuberlich in schwarz-weiße Gegensatzpaare ein, die einander definitionsgemäß ausschließen müssen.
In noch unverbildeten Menschen dagegen breitet sich ein warmes Gefühl der Vollständigkeit aus – die scheinbaren Gegensätze vereinen sich in ihrem Geist zu den zwei Seiten einer Medaille! Spürt einmal selber nach: Kann ich Geborgenheit empfinden, wenn mich jemand in seinen Armen hält, ich aber nicht sicher sein kann, dass er/sie mich sofort wieder loslässt, wenn ich das will? Kann ich mich wirklich frei fühlen, solange ich ausgesetzt und ohne Zufluchtsmöglichkeit bin?
Nicht anders ist es mit den scheinbaren Gegensätzen Ernst und Freude: Wir brauchen nur den kleinen Kindern zuzuschauen – nichts ist so freudvoll und zugleich so ernsthaft wie das selbstvergessene Spiel der Kinder! Es erfüllt sie vollkommen, sie fühlen sich eins mit sich und der Welt und brauchen nicht mehr zu ihrem Glück, als dass sie niemand stört bei ihrem Spiel… DAS ist Freilernen – ein anderes Wort für LEBEN, für selbstbestimmtes, ernsthaftes und freudiges Weiterwachsen in Freiheit und Geborgenheit!
Genau das wünschen euch herzlich für den Monat August sowie den Rest eures Lebens… Alexandra und Sibylle