Mai 2015
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Liebe Scholé-Freunde,
Es gibt viel zu berichten! Scholé entwickelt sich zu einer Drehscheibe für verschiedene Formen freien und natürlichen Lernens. In den letzten Wochen haben wir mit vielen Menschen gesprochen, viele Initiativen kennengelernt und dabei wichtige Erfahrungen gemacht:
Die Vielfalt, die wir an den Kindern so schätzen und unbedingt erhalten wollen, müssen wir auch den Erwachsenen zugestehen: DEN RICHTIGEN WEG gibt es nicht, sondern jeder Weg entsteht Schritt für Schritt vor den Füßen dessen, der ihn geht! Was es hingegen sehr wohl gibt, ist das GEMEINSAME ZIEL, nämlich die freie Entfaltung anstelle einer normierten und normierenden Bildung.
Manche engagierte Reformer bemühen sich, innerhalb des bestehenden Systems diesem Ideal näher zu kommen. Sie haben die schwierigste und undankbarste Aufgabe, denn sie können sich meist weder ihre Schüler noch ihre Mitarbeiter aussuchen und müssen sich auf Schritt und Tritt mit den Einschränkungen des Systems auseinandersetzen. Pionierinnen wie Ingrid Teufel in Wien oder Margret Rasfeld in Berlin haben allerdings gezeigt, dass sich mit Mut und Beharrlichkeit unglaubliche Veränderungen erzielen lassen…
Eine andere, viel kleinere, aber sehr rasch wachsende Gruppe orientiert sich am Beispiel der ersten LAIS-Schule in Klagenfurt: Sie verschreiben sich dem natürlichen Lernen (LAIS ist das keltische Wort für Lernen) und auch der in Tekos entwickelten Schaubildarbeit, ohne deshalb von den vorgeschriebenen Jahresprüfungen gänzlich abzurücken. Das vermittelt vielen Eltern ein Gefühl der Rechtmäßigkeit und Sicherheit und würde es ihren Kindern auch ermöglichen, jederzeit wieder in eine andere Schule zu wechseln. In Wien wird gerade der Colearning Space Wien gegründet, bei dem sich InteressentInnen noch melden können (lais@colearning-wien.at).
Die kleinste Schar sind die Freilerner / Unschooler im eigentlichen Sinn. Diese Eltern haben sich aus innerer Überzeugung dafür entschieden, die alleinige Verantwortung für ihr Tun und die Entfaltung ihrer Kinder zu tragen. Das war bisher ein ziemlich einsamer Weg, doch in letzter Zeit entstehen immer engere freundschaftliche Kontakte zwischen den einzelnen Familien, es gibt immer mehr gemeinsame Unternehmungen und Projekte.
Lustiger Weise tragen die Strafandrohungen der Schulbehörden wegen nicht abgelegter Jahresprüfungen zu diesem engeren Zusammenhalt nicht unwesentlich bei: Die Freilerner beraten nun regelmäßig miteinander über die besten, friedlichsten und konstruktivsten Maßnahmen im Umgang mit Bezirksschulinspektoren und Juristen des Bildungsministeriums, unterstützen einander fachlich und finanziell und haben so allmählich ein wunderbares Netzwerk geknüpft.
Im täglichen Leben dieser Familien spielen juristische Fragen allerdings überhaupt keine Rolle. Wesentlich ist ihnen der unbedingte Respekt vor den Kindern, ihren Eigenheiten und Bedürfnissen. Dabei machen sie sich aber nicht zu Dienern ihrer Kinder, sondern erkennen vielmehr, wie „reif“ selbst ganz junge Kinder schon agieren können, wenn sie nicht bevormundet werden! Eine Siebenjährige schafft es z.B. SPIELEND, eine Woche lang den Speisezettel für die ganze Familie zu erstellen, nach eigenem Ermessen die Einkaufsliste zu schreiben, allein einkaufen zu gehen und ihr Menü dann auch noch fast ohne fremde Hilfe zuzubereiten! In der Redewendung „spielend schaffen“ oder „spielend lernen“ steckt also eine tiefe Wahrheit: DAS FREIE SPIEL IST DER KÖNIGSWEG DES LERNENS!
Bei den Freilernern sehe ich den Scholé-Gedanken am reinsten verwirklicht. Darum bemühe ich mich auch, durch Briefe und persönliche Begegnungen mit Bildungs- und Erziehungsexperten Interesse für unser Forschungsprojekt zu wecken: Falls der eine oder die andere bereit wären, Diplomanden mit der Beobachtung der Freilerner-Kinder und ihrer weder planbaren noch vorhersagbaren Entwicklungsfortschritte zu betrauen, könnte eine solche wissenschaftliche Evaluierung vielleicht als Ersatz für die Jahresprüfungen anerkannt werden. Außerdem würden die sicher hoch interessanten Ergebnisse einer solchen Studie zur Verbreitung der Freilerner-Idee dienen…
Mit der Schaubildarbeit, die von vielen Generationen von Schetininschülern entwickelt wurde, haben wir uns in den letzten Wochen intensiv beschäftigt. Es ist jedes Mal wieder verblüffend zu erleben, wie viele Facetten es da zu entdecken gibt: Kein Treffen gleicht dem anderen, jedes Schaubild ist ein einzigartiges Kunstwerk und jede Weitergabe setzt einen lange noch fortwirkenden Bewusstwerdungsprozess in Gang, sowohl bei den Übergebenden als auch bei den Empfängern, die ihrerseits bald auch wieder Übergebende sein werden und so fort… Beim Mathematikprojekt der Begeisterungswerkstatt kommt die Schaubildarbeit natürlich ebenfalls zum Einsatz – ich bin schon sehr gespannt darauf, was die Teilnehmer erzählen werden!
Und mit den Schülern der Weinbergschule am Wallersee entwickelt Richard Kandlin die Schaubildarbeit gerade auf allen Gebieten weiter: Unter www.weinbergschule.at finden sich sowohl einige anschauliche Videos dazu als auch die Termine der nächsten Vorträge und Module für Schulgründer!! In der friedvollen Atmosphäre der Weinbergschule, die schon seit 10 Jahren besteht, können Besucher aber vor allem erfahren und selbst wahrnehmen, worauf es bei der freien Entfaltung wirklich ankommt: auf tätige Mitmenschlichkeit, Respekt vor allen Geschöpfen und die tiefe Verbundenheit mit dem Schöpfer.